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18.11.2015

Hannover: Hässlichkeit als Touristenmagnet?

Offenbar kann man sich in Hannover auch lieben und sich vor dem Neuen Rathaus gern fotografieren lassen. So schlimm kann es also nicht sein in Hang-over. Gleich zwei Paare habe ich da vor die Kamera bekommen.


Man weiß es einfach nicht, ob man die Alster, die Bille, die Elbe oder den Maschsee mit Leine, den Rhein oder den Bodensee wirklich braucht. Vermutlich nicht, denn das sind keine Existenzfragen. Wichtiger ist, was man selbst für sich als Heimat empfindet: Da, wo man sich auskennt, die für sich selbst wichtigen Menschen wohnen, und man deshalb dort sich innerlich verwurzelt fühlt, sicher ist und sich zurecht findet.

Finis (in der ZEIT Nr. 44/2015, 29.10.2015) hat zum vorfinalen mal-wieder-Schlag ausgeholt, und aus seiner Hamburger Perspektive die andere Stadt mit dem anderen HSV etwas ins Abseits gestellt, als ob Hannover so etwas sei wie Bielefeld oder Darmstadt. Es macht keinen Sinn, persönliche Heimaten gegeneinander aufzurechnen.

Und nachdem Finis so über das „Kolossaldenkmal“ Hannover geschrieben und vermutlich nicht final nachgedacht hat, zweifele ich nicht mehr an der Existenz von Bielefeld und glaube auch fest daran, dass es viele Menschen in Darmstadt gibt, die mit ihrem persönlichem Umfeld und mit ihren Freundinnen und Freunden dort zufrieden und glücklich sind. Was wäre denn, wenn alle nach Hamburg, Berlin oder München hinziehen würden? Natur pur drumherum ohne Ende. Oder gar Rio, New York, Tokyo?

Na ja, dann hätten wir in Hannover hier Platz in der vermeintlichen Provinz, weil es hier leerer (ach ja, Leer ist auch ganz nett! Die Menschen dort sind allerdings die Leeraner…) werden würde.

Gut, dass die Hannover-Nörgler nicht hierher kommen. Das würde unsere gute Stimmung eintrüben. Wir haben so Platz für einen Walk in the Park, sei es in den Herrenhäuser Gärten, der Eilenriede oder dem Tiergarten, dann auch "umzu", wie es andernorts heißt.

Wie die Wildschweine im Tierpark (Foto!) verdeutlichen, können die Hannoveranerinnen und Hannoveraner nicht nur dort die Sau rauslassen.

Wir haben hier ja nicht nur die Leibniz-Uni, sondern auch den passenden Keks dazu. Matthias Brodowy sei Dank.


2015, Hannover Rathaus

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Finis : Das Letzte

Von

aus: DIE ZEIT Nr. 44/2015, 29. Oktober 2015

Der chinesische Künstler Ai Weiwei, Sie wissen schon, dieser rebellische Dicke, auch als Bud Spencer der Dissidenten bekannt, will mal wieder mit Lego spielen und hat zu diesem Zweck eine

Großbestellung aufgegeben. Damit Sie wissen, was im Fall Ai Weiweis eine Großbestellung heißt, sei daran erinnert, dass er schon einmal etwas aus Lego gebastelt hat, nämlich 175 Porträts

anderer prominenter Dissidenten (von Snowden bis Mandela), für die er 1,2 Millionen Steine verbraucht hat (zu besichtigen im ehemaligen US-Gefängnis Alcatraz). Wahrscheinlich sind die ziemlich bunt geratenen Mosaiken dem dänischen Lego-Hersteller in unguter Erinnerung – Dänen sind eine dezente Nation –, jedenfalls wurde die Bestellung abschlägig beschieden.

Man könne es nicht gutheißen, so die Begründung, wenn Lego zu politischen Zwecken gebraucht werde. Geschickte Pressearbeit sieht anders aus. So aber richtete sich das öffentliche Augenmerk auf die

Interessen, die Lego womöglich in China verfolgt – und tatsächlich zeigte sich, dass eine britische Firma in Shanghai ein neues Legoland errichten will. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Andererseits könnte dieses Projekt auch einfach einen Lieferengpass verursacht haben, den man gegenüber Ai Weiwei nicht eingestehen wollte, zumal in China noch mehr und noch Größeres gebastelt werden soll, zum Beispiel die Innenstadt Hannovers im Maßstab 1 : 1, mit der sich die Provinzstadt Changde im Nordosten Hunans schmücken will. Natürlich sagt der Plan selbst nichts über das Material aus – es könnte sich schließlich auch um Kartonmodellbau handeln –, aber die Kürze der geplanten Bauzeit von zwei Jahren spricht doch sehr für Lego, das weder bedruckt noch geklebt werden muss. Größere Fragen wirft allerdings die Wahl ausgerechnet Hannovers auf. Ist Hässlichkeit neuerdings ein Touristenmagnet? Informierte Kreise verweisen indes auf die Unesco, die seit geraumer Zeit fieberhaft daran arbeite, ihre Liste der Weltkulturerbestätten durch eine Negativliste zu ergänzen und dabei immer wieder Hannover als aussichtsreichen Kandidaten genannt habe, was wiederum in China vollkommen missverstanden worden sei, weswegen man aus Versehen eine Weltkulturschandestätte nachzubauen begonnen habe, im allgemein chinesischen Rausch des Kopierens von Markenartikeln. So weit der etwas gewundene Erklärungsversuch. Aber was wollte Ai Weiwei mit den verweigerten Lego-Steinen nachbauen? Manche sagen: sich selbst – als Kolossaldenkmal für Hannover, damit es im Zuge der Stadtkopie in seine Heimat China gelangt, zum anhaltenden Ärger der Behörden.


Hannover, Tiergarten